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Von Aufschwung bis Energiewende: Viele Faktoren treiben gerade die Preise. „Abwarten und Hoffen“ ist aus Sicht des Ulmer Energiemarkt-Forschers Prof. Dr. Dietmar Graeber daher die falsche Strategie.
10.11.2021

„Jetzt: Langfristig vorbeugen!“

Von Aufschwung bis Energiewende: Viele Faktoren treiben gerade die Preise. „Abwarten und Hoffen“ ist aus Sicht des Ulmer Energiemarkt-Forschers Prof. Dr. Dietmar Graeber daher die falsche Strategie.

Im Interview Prof. Dr. Dietmar Graeber, Professor für Energiewirtschaft an der Hochschule Ulm

Die Turbulenzen an den Märkten – Rohstoffmangel, Preisexplosion – sind unübersehbar. Auch der Energiemarkt ist stark betroffen. Hat sich das schon länger angebahnt?
Graeber: Ein gewisser Anstieg der Energiepreise insb. Strompreise ist ja schon länger erwartet worden, ausgelöst vom Mechanismus des Emissionshandels. (Das war ein Indikator.) Dass der Anstieg in dem Ausmaß erfolgt, wie wir es derzeit beobachten, das kam tatsächlich unerwartet.


Wie stark ist der Zusammenhang der höheren Energiekosten mit dem generellen Mangel verfügbarer Rohstoffe? Oder sind es die Aufräumarbeiten nach Corona, die durchschlagen?
Graeber: Beides hat die gleichen Ursachen. Nach dem weitgehenden Ende der Einschränkungen ist die Nachfrage bei vielen Produkten wieder angestiegen – entsprechend auch die Nachfrage nach Energieprodukten. Denn die werden ja für eine wieder höhere Produktion benötigt. Es ist aber nicht so, dass die Logistikkette allein die hohen Preise verursacht, die erst wieder in Schwung kommen muss. Hauptgrund ist der wirtschaftliche Aufschwung.


Verblüffend: Aufschwung ist schädlich…
Graeber: Aber im Prinzip nichts neues. Steigende Nachfrage zieht steigende Preise nach sich. Dass sie im aktuellen Ausmaß nach oben gehen, ist aber auch noch von anderen Faktoren beeinflusst. Nehmen wir den Strom: Da haben wir die Energiewende, die Realität geworden ist. Die Märkte glauben daran, dass die Politik es ernst meint. Emissionen sind nicht vorrübergehend, sondern dauerhaft teurer geworden: Kohle ist extrem unattraktiv, die Energieerzeuger weichen deshalb aufs Gas aus – und damit ziehen auch dort die Preise an. 


Beim Gas sind wir aber in der Vergangenheit durch die Vorratshaltung in Deutschland gut gefahren.
Graeber: Das ist grundsätzlich richtig. Wir haben in Deutschland eine Speicherkapazität von einem Viertel des Jahresverbrauchs. Das klassische Geschäftsmodell für Betreiber von Gasspeichern sah so aus, dass man im Sommer diese Speicher zu niedrigen Preisen füllt, um den Inhalt dann im Winter gewinnbringend zu nutzen. Das hat in jüngster Zeit immer weniger funktioniert, weil die Preise im Winter kaum höher waren als im Sommer. Dieses Jahr haben die Händler daher weniger bevorratet – und gerade dieses Jahr scheint es im Winter knapp zu werden. Das treibt die Preise an. Ob der hohe Preis aber ausschließlich fundamental erklärbar ist, ist schwer zu sagen - der Markt erzeugt auch noch immer seine eigene Dynamik.


Haben Sie schon Erkenntnisse, wie das weitergehen wird?
Graeber: Wir sehen uns selbstverständlich auch die Handelsprodukte für 2023 oder 2024 an. Dort sind die Preise zwar auch höher wie vor einem halben Jahr, aber deutlich niedriger als z.B. für das Jahr 2022 – es werden also zukünftig wieder niedrigere Preise erwartet. Ob es aber eine Rückkehr zum früheren Niveau gibt, ist ungewiss. Situationen können sich allerdings wieder ändern, Anlässe dafür gibt es rund um den Globus genügend. Unternehmen sind also gut beraten, eine langfristige und vorbeugende Strategie zu entwickeln und ihr Einkaufsverhalten entsprechend anzupassen.

Welche Lerneffekte für Unternehmer oder Entscheider ergeben sich aus der gegenwärtigen Situation, in der erstmals in solcher Massierung eine überaus große Menge von Störfaktoren zusammenkommt? Braucht das eine Strategieanpassung?
Graeber: Die Absicherung gegenüber hohen Energiepreisen ist heute wichtiger denn je. Wer damit schon frühzeitig begonnen hat, spürt jetzt schon den Profit daraus. Wer dagegen auf fallende Preise spekuliert hat, der erlebt gerade eine böse Überraschung. Die Verführung war angesichts fehlender extremer Preise in den vergangenen Jahren eben sehr groß, sich die Kosten für Vorsorge zu sparen. 


Das heißt, dass nunmehr nicht allein Airlines ein Hedging gegen hohe Spritpreise betreiben müssen?
Graeber: Die Aufgabe ist ganz deutlich im Mittelstand angekommen. Da gab es immer schon Unternehmen, die längerfristige Verträge abgeschlossen haben – aber eben bei weitem nicht alle. Die Zahl derer, die vorsichtiger agieren, wird in diesen Tagen sicher zunehmen. Die sehen ja selbst den Wettbewerbsvorteil jener, die sich abgesichert haben. Wobei, auch das muss man anmerken: In der Vergangenheit gab es auch Phasen, da standen die besser da, die sich von der Hand in den Mund mit Energie versorgt haben.


Gibt es weitere Erkenntnisse, die man aus der aktuellen Entwicklung ziehen kann?
Graeber: Es gibt Reaktionen auf den Klimawandel. Auch wenn es auf Anhieb ungewohnt klingt, bedeutet das: Politik ernst nehmen. Auch wenn sich manches lange hinzieht, irgendwann passiert dann doch etwas und ist auch nicht mehr so schnell umkehrbar. aus der höheren Konsequenz bei der Umsetzung der Energiewende ergeben sich zumindest mittelfristig steigende Kosten, mit denen die Unternehmen heute und in Zukunft kalkulieren müssen. Wenn sie nicht intensiv die Aufgabe angehen, ihren Energieverbrauch zu optimieren.

Wohin geht die Preiskurve?
Graeber: Sicher nicht unaufhaltsam nach oben,. das sieht man schon an den Preiserwartungen auf den Terminmärkten. Bald wird sich auch die extreme Volatilität reduzieren und wieder mehr Ruhe am Markt einkehren. Aber, keine Frage, es gibt einige fundamentale Faktoren, die dafür sprechen, dass wir auch nach einer Marktberuhigung auf höherem Niveau stehen als vor dem Sturm.

Und Ihre Forschungskurve – welche nächsten großen Themen steuern Sie gerade an, die unternehmerisches Handeln beeinflussen werden?
Graeber: Was wir aufgrund der hohen Strompreise beobachten, sind die zunehmende Attraktivität von Investments in Photovoltaik-Freiflächen und große Dachanlagen. Die Produktionskosten dort sind inzwischen deutlich niedriger als die Großhandelspreise für Strom. Ganz ohne Subventionen kann man da also schon sehr wirtschaftlich arbeiten. PV bietet für Unternehmen eine gute Chance, sich langfristig mit Eigenproduktion abzusichern. Umgekehrt ist es eine sehr interessante Option, mit Großbetreibern von PV- oder Windkraftanlagen langfristige Verträge zur Lieferung abzuschließen – auch über 10 oder 20 Jahre. Deren Produktionskosten werden stabil bleiben. Wir sehen das aktuell bei den Betreibern sehr großer Rechenzentren wie Google oder Microsoft, die sich damit Preissicherheit verschaffen und ein ökologisches Image. In letzter Konsequenz führt die aktuelle Attraktivität von Investitionen in erneuerbare Energien übrigens auch dazu, dass selbst die Gewinner der gegenwärtigen Lage wieder zu etwas moderateren Preisen zurückkehren wollen. Weil sie bei weiter zunehmender Attraktivität von Investitionen in erneuerbare Energien sonst schneller als erwartet Marktanteile verlieren werden.
 

Zur Person: Prof. Dr. Dietmar Graeber promovierte an der Universität Hohenheim zum Thema "Handel mit Strom aus erneuerbaren Energien" und gründete mehrere Startups. Seit 2017 ist er als Professor für Energiewirtschaft an der Hochschule Ulm tätig. Gleichzeitig ist er Mitglied der Leitung der Smart Grid Forschungsgruppe Ulm und leitet das Steinbeis Transferzentrum Energiewirtschaft an der THU.

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